Annas Art

Die Sache mit der Anerkennung

Ich glaube, jeder von uns kennt das: Dinge, für die wir Komplimente oder generell Anerkennung bekommen, machen wir besonders gerne. Sei es im Sport, beim Kochen, für handwerkliche Geschicklichkeit, im Beruf… Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Das ist ja auch verständlich. Wer bekommt nicht gerne Aufmerksamkeit?! Jeder freut sich, wenn die eigene Arbeit, Bemühungen oder auch Talente wertgeschätzt werden. Es gibt uns ein gutes Gefühl, macht uns zufrieden, vielleicht sogar glücklich.

Das fängt schon in Kindergarten und Schule an. Schnell werden jene die Lieblingsfächer, in denen wir ohne große Mühe besonders glänzen können. Vielleicht nicht mal direkt vor den Lehrern, spätestens aber Zuhause, wo es Lob und Anerkennung für die guten Noten gibt.

Bei mir war das – wer hätte es gedacht? – im Kunstunterricht der Fall. Schon im Kindergarten saß ich lieber drinnen und malte, als draußen mit den anderen Kindern zu spielen. In der Grundschule setzte sich das Thema fort. Bereits in der ersten Klasse belegte ich bei einem landesweiten Malwettbewerb den besten Platz der ganzen Schule. Ein solches Maß an Bewunderung hatte ich in meinen jungen Jahren noch nicht erlebt!

Spätestens aber auf der weiterführenden Schule hatte sich das Prinzip “Ich tue dies, um Anerkennung zu bekommen voll etabliert. Mein Kunstlehrer hatte eine sehr eigene Methode, Noten zu vergeben. Es herrschte quasi Demokratie. Die Bilder der ganzen Klasse wurden von ihm eingesammelt und vorsortiert. Anschließend wurden sie in der Reihenfolge ausgelegt, wie er sie qualitativ einstufte, angefangen beim besten Bild, bis hin zum Schlechtesten. Danach wurde über jedes Bild die Diskussion eröffnet, ob es an der richtigen Stelle lag, oder nicht doch besser oder schlechter sei, als die Bilder daneben.

Ich könnte mir vorstellen, dass der ein oder andere Leser an dieser Stelle innerlich die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Natürlich ist uns allen klar, dass in der Schule Leistung benotet wird. Dass das gerade in Fächern wie Kunst und Sport manchmal schwierig ist, dürfte den Meisten ebenso klar sein. Diese Bewertung dann aber vor der ganzen Klasse offenbar werden zu lassen, grenzt für die schlecht eingestuften Kinder meiner Meinung nach schon an Grausamkeit.

Damals ist mir das nicht aufgefallen. Ich war daran gewöhnt, mein Bild an erster Stelle liegen zu sehen. 

Wenn es mal an zweiter Stelle lag wurde es von meinen Mitschülern meist nach vorne argumentiert, und das nicht, weil ich sonderlich beliebt gewesen wäre. Aber wenigstens im Kunstunterricht waren sich alle einig, dass man mich Fragen sollte, wenn man Hilfe bräuchte, und dass es definitiv nicht Schaden konnte, mich bei einer Gruppenarbeit dabei zu haben. Mit der Malerei konnte ich Punkten, und endlich mal die Anerkennung erlangen, die mir in vielen anderen Bereichen fehlte.

An dieser Stelle nun finde ich das System sowohl für die “guten” Kinder, wie auch für die “Schlechten” ziemlich bedenklich.

Bleiben wir für den Moment mal bei denen, die ihre Bilder im hinteren Teil des Bewertungs-Spektrums wiedergefunden haben. Im besten Fall sind es selbstsichere Kinder, die ihre Zufriedenheit nicht von der Bewertung einer als eher zweitrangig angesehenen Fähigkeit abhängig machen. Doch sein wir mal ehrlich, wie vielen Sechstklässlern ist es egal, wenn ihnen vor der gesamten Klasse attestiert wird, dass sie in etwas nicht gut sind, ihr Bild vielleicht sogar auf dem letzten Platz gelandet ist. Wahrscheinlicher ist, dass sie traurig oder frustriert sein werden. Und die Chance, dass sie beim nächsten Mal besser abschneiden, ist nicht sonderlich hoch. Die Motivation, dann überhaupt noch zu malen, bzw. für diese Fach zu übern, dürfte entsprechend gering sein. Schade ist, dass dann an dieser Stelle ein Selbstbild entsteht. “Ich kann nicht malen.” Etwas objektiver formuliert mag das sogar stimmen: “Ich kann nicht so malen, wie der Lehrer es gern hätte.” Und das nur, weil die Feinmotorik in den vorhergehenden Jahren nicht ausreichend geschult wurde. Denn es ist nicht die Theorie, an der die Schüler scheitern würden. Wie Fluchtpunkte funktionieren oder welche Farben welche Wirkung haben, könnte durchaus schriftlich abgefragt und benotet werden. Wenn aber alles an der motorischen Umsetzung hängt haben leider die Kinder das Nachsehen, die vielleicht statt dessen früh lesen gelernt oder lieber mit Freunden gespielt haben. Beides nichts, woraus den Kindern ein Vorwurf gemacht werden sollte, nicht wahr!?

Ebenso traurig ist aber auch, dass diese Kinder nicht mehr freiwillig zu Papier und Farbe greifen würden. Durch den Kunstunterricht ist das Malen so sehr an Leistung geknüpft, dass der Spaß am Malen verloren geht. Immer geht es nur darum, die Realität des Betrachters möglichst treffend darzustellen. Wenn dies nicht gelingt, heißt es sofort, man könne nicht malen. Dabei sind abstrakte Bilder doch genauso in der Lage, beim Betrachter bestimmte Regungen auszulösen. Uns zu beruhigen, nachdenklich zu machen, oder gar wütend oder aggressiv. Und ganz ehrlich, mehr Spaß macht es auch noch! Einfach mal auf die innere Stimme hören, zu der Farbe greifen, nach der einem ist, und drauf los malen. Man ist ganz auf den Prozess konzentriert, gleichzeitig entspannt und ohne Leistungsdruck. Wer sich noch nie im Freien Malen versucht hat, sollte es unbedingt mal ausprobieren! Mehr zu dem Thema findest du hier

Jetzt fragst du dich vielleicht, warum ich das System auch für diejenigen bedenklich finde, die bei der Bewertung eher gut abgeschnitten haben. Wie für mich selbst, beispielsweise. Man könnte argumentieren, dass ich dadurch ja ein gewisses Selbstvertrauen bekommen habe, meine Fähigkeiten einzuschätzen gelernt habe oder vielleicht ein Gefühl der Zugehörigkeit erleben durfte, wenn andere meine Hilfe brauchten. 

Problematisch wird es aber dann, wenn das eigene Selbstwertgefühl nur noch von der Anerkennung abhängt, die wir für das bekommen, was wir gut können. Das muss nicht, wie bei mir, das Malen sein. Es kann auch jedes andere Schulfach sein, ein Hobby,  das Spielen eines Instruments, eine Sportart, der Beruf. So ziemlich jeder hat etwas, worüber er/sie sich identifiziert. Doch was bleibt, wenn man dieses Etwas einmal verliert? Wenn man zum Beispiel durch einen Unfall erst mal nicht mehr in der Lage ist, das zu tun, was einen vermeintlich ausmacht? Oder, viel weniger dramatisch, wenn wir, obwohl wir alles “richtig” gemacht haben, mal nicht die Anerkennung bekommen, die wir uns erhofft haben? Wir machen unsere Zufriedenheit abhängig von der Reaktion anderer Menschen. Und geben somit die Kontrolle über unser Befinden ab. Wir fühlen uns schlecht, weil wir nicht (ausreichend) gelobt wurden, oder weil ein Foto, das wir über Social Media geteilt haben, nicht genügend Likes bekommen hat. Und beides vielleicht nur, weil die Leute, deren Rückmeldung uns wichtig ist, mit dringenderen Dingen beschäftigt sind, als uns auf die Schulter zu klopfen.

Wenn man schon als Kind lernt, dass man immer nur für Leistung gelobt wird, aber kein Gefühl dafür vermittelt bekommt, dass man auch abseits von Leistung als Mensch geliebt und geschätzt wird, ist es nahe liegend, sich auch nur über seine Leistungen zu definieren. Viel zu selten bekommen Kinder Anerkennung dafür, dass sie hilfsbereit sind, oder großzügig, lustig, mitfühlend, schlau, et cetera. Und wenn wir als Erwachsene solche Dinge nicht verbalisieren, bekommt ein Kind auch kaum einen Bezug dazu.  

Es hat lange gedauert, bis ich zu dem Punkt kam, an dem ich nicht mehr für die Anerkennung anderer Menschen gemalt habe. Es gab Zeiten, da hätte ich Bilder am liebsten zerrissen, wenn mir nicht genügend Leute die Rückmeldung gegeben haben, dass ein Bild gut sei. Oder in denen ich mich als Person völlig in Frage gestellt habe, wenn ein Fotograf zum Beispiel mehr vom Model an sich angetan war, als von meinem Bodypainting. Rückblickend betrachtet ist das natürlich völlig albern und ich kann mich glücklich schätzen, wenn ich ein wirklich gutes Model bemalen darf. Die Präsenz eines Models vor der Kamera haucht einem Painting schließlich noch das gewisse Etwas ein!

Auch an normale Bilder gehe ich inzwischen anders heran. Ich male wonach mir ist. Das Bild ist Anderen zu bunt, zu trist, zu groß oder zu klein? Auch in Ordnung. Solange es mir gefällt, bin ich zufrieden. Wenn es dann noch Anderen gefällt ist das ein schöner Bonus. Es ist ein gutes Gefühl, Anderen mit meiner Kunst eine Freude zu machen. Aber auch wenn das nicht gelingt ist das OK und ich bleibe entspannt. 

Es ist unglaublich befreiend, seine Laune und sein Wohlbefinden nicht mehr von den Reaktionen und der Anerkennung anderer Menschen abhängig zu machen. Das ist zwar nichts, was man von heute auf morgen erreicht, aber es ist ein lohnendes Ziel!