Annas Art

Leider Selbstverständlich

Immer wieder fällt mir in letzter Zeit auf, wie blind die meisten Menschen eigentlich für ihre eigenen Fähigkeiten und Begabungen sind. Oder wie wenig Dankbarkeit sie dafür zeigen. Um ganz ehrlich zu sein fällt mir selbst beides ziemlich häufig ziemlich schwer.

In dem letzten Blogeintrag habe ich davon erzählt, wie es war, zum ersten Mal ein Bodypainting auszuprobieren. Natürlich hat nicht alles, was ich mal probiere, so nachhaltigen Einfluss auf mein Leben, wie diese spezielle Form der Kunst. Es kommt aber häufig genug vor, dass ich mich für Dinge spontan so sehr begeistere, dass ich wünschte, damit schon vor Jahren angefangen zu haben. Ich wollte zum Beispiel schon immer eine Art von Kampfsport machen, hatte als Kind oder Jugendliche jedoch nie die Gelegenheit dazu. Aber besser spät als nie, habe ich mir gedacht, und mit Anfang 30 ist man ja noch nicht soooo alt…

Vor etwa eineinhalb Jahren habe ich also mit Kalaripayattu angefangen, der vermutlich ältesten Kampfkunst der Welt, die ihren Ursprung im Süden Indiens hat. Ich war zwei Mal beim Probetraining – und schon süchtig. Seitdem hat die Kampfkunst, sowie die damit einhergehende Philosophie, einen festen Platz in meinem Leben. Ich merke aber auch, dass ich in rein körperlicher Hinsicht den Schülern, die grade einmal halb so alt sind wie ich, niemals das Wasser werde reichen können. Gerade am Anfang war das sehr frustrierend und ich habe mich häufiger dabei erwischt, ein wenig neidisch zu sein.

Ich habe mich gefragt, warum ich nicht schon als Kind mit irgendwas Tollem angefangen habe, so dass ich jetzt richtig gut darin wäre. Klavierspielen zum Beispiel, oder halt Kung Fu, was früher die Kampfkunst meiner Wahl gewesen wäre.

Irgendwann brach es aus mir heraus: “Man ey, ich will das auch alles können! Warum hatte ich als Kind nicht die Chance irgendwas Cooles zu lernen?!”

“Hast Du doch,” war die Antwort eines guten Freundes. “Du kannst doch malen!”

Ich war ziemlich perplex. Natürlich hatte er völlig Recht! Seit ich einen Stift halten konnte habe ich gemalt. Jeden Tag. Und wenn es nur eine schnelle Kritzelei mit einem Kugelschreiber war, so war es doch mehr, als die meisten Leute in meinem Umfeld zu Papier brachten. Während meines Studiums habe ich in den Vorlesungen meine Kommilitonen porträtiert und all meine Unterlagen mit den kuriosesten Skizzen versehen, nicht zuletzt, weil das Malen meine Konzentration steigert und ich dabei einfach besser zuhören kann. Die Professoren grüßten mich sogar mit “Ach, Sie sind doch die, die immer malt!”

Ich nehme diese Fähigkeit leider meist als selbstverständlich hin und mache mir gar kein Bild davon, dass es sicher auch Leute gibt die sich ärgern, dass sie nicht vor dreißig Jahren angefangen haben, täglich zu malen. Und wenn man mir die Wahl gäbe, ob ich nun lieber gut malen könnte oder gut in Kung Fu wäre, würde ich mich für’s Malen entscheiden.

Seit diesem kleinen Denkanstoß fällt es mir leichter damit umzugehen, wenn Andere in gewissen Dingen einfach besser sind als ich. Gleichzeitig kann ich auch meine eigenen Fähigkeiten besser wertschätzen. Und außerdem: wer kann schon mit Kung Fu anderen Menschen so eine Freude bereiten, wie es mir durch meine Kunst möglich ist?!